TRAUMA – Erkennen, Verstehen, Behandeln und Heilen

Viele Menschen leiden. Lange. Und sie wissen nicht, weshalb. Das Leiden verkleidet sich als Depression oder Burn-out, als Angststörung oder chronische Verspannung. Oder als inneres Gefühl von Abgeschnittenheit, Nicht-richtig-sein, von Unzufriedenheit, Sinnlosigkeit, Einsamkeit. Was ist der Grund und wie kann geholfen werden?

Ursache ist oft ein Geschehen oder Erleben in der Biographie eines Menschen, dass weit zurückliegen mag und eine, durch seine Intensität, bleibende psychische, seelische oder mentale Wunde hinterlässt: Ein Trauma oder mehrere Traumata.

Was ist ein Trauma? Im Lehrbuch für Psychotraumatologie wird Trauma definiert als „(…) ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt.“ Trauma (griech. „Wunde“) bezeichnet in der Psychologie also eine seelische Verletzung.

Bei jeder klassischen Definition wird betont, dass eine Gefahr für Leib und Leben bestanden haben muss. Z. Bsp. erhebliche psychische, körperliche und sexuelle Gewalt sowie schwere Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt aber, dass Symptome auch dann entstehen können, wenn dies nicht so empfunden wurde. So können Operationen und Narkosen, Stürze, Trennungen, Verlust naher Angehörigen, Schwangerschftsabrüche, Mobbing, Demütigungen, das Bezeugen von Gewalt oder Unfällen anderer und vieles mehr. Das Problem besteht darin, dass man nicht sagen kann, was für eine bestimmte Person traumatisch ist, weil Menschen sehr unterschiedliche Schwellen haben, ab denen Stress zum Trauma wird.

Peter Levine, ein bekannter Traumapsychotherapeut sagt, Trauma entsteht im Nervensystem, und nicht im Ereignis. So gesehen entsteht ein Trauma dann, wenn ein Ereignis zu plötzlich, zu schnell, zu massiv oder auch zu anhaltend für einen Menschen geschieht, so dass seine Bewältigungsmechanismen weit überfordert sind.

Traumata, die aus einem einmaligen Erlebnis resultieren, nennt man Schocktrauma. Genauso häufig, wenn nicht sogar in der Majorität, sind sogenannte Entwicklungs- oder Bindungstraumata. Diese ziehen sich über einen langen Zeitraum hin und beeinflussen unsere gesamte Persönlichkeit, unser Lebensgefühl, unsere Überzeugungen und unsere Grundhaltung der Welt gegenüber. Sie wirken sich auf unser Bindungs- und Beziehungsverhalten, unsere Resilienz (Stressresistenz) und unsere Glücksfähigkeit, aus. Der für die WHO gültige „ICD-10- Klassifikation psychischer Störungen“ gibt drei Traumatisierungsgrade an:

Die akute Belastungsreaktion

Eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt und die im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Dazu gehören Angst, Desorientierung, Ärger oder verbale Aggression, Verzweiflung, Überaktivität, unkontrollierbare Trauer.

Anpassungsstörungen

Hierbei handelt es sich um Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Symptome sind u.a. Ängste, Depressionen, Trauer, psychosomatische Störungen, sozialer Rückzug. Sie beginnen innerhalb eines Monats und werden für die Dauer von sechs Monaten als Kriterium einer Anpassungsstörung erfasst.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Hier handelt es sich um Schocktrauma und Entwicklungs- oder Bindungstraumata und den daraus folgenden Symptomen. Dazu gehören Flashbacks: Spontan auftretendes Wiedererinnern des/der traumatischen Ereignisse(s), einhergehend mit einem Gefühl, als würde es in diesem Moment geschehen. Vermeidungsverhalten: Orte und Situationen, die an das Trauma erinnern, werden gemieden. Erinnerungslücken: Einzelne Aspekte oder das gesamte traumatische Ereignis sind nicht erinnerbar. Oft auch die Zeit davor und danach, manchmal Jahre. Entfremdungsgefühle: Betroffene haben das Gefühl nicht richtig da zu sein. Hyperarousal: Ein erhöhtes Erregungsniveau, das sich in Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Nervösheit und dem Gefühl „ständig auf der Hut“ sein zu müssen, zeigt. Dissoziation: Das Abspalten von Persönlichkeitsanteilen bis hin zu einer temporären Bewußtlosigkeit. Ängste: Sie können eine Intensität entwickeln, bis hin zur Vernichtungsangst. Die Symptome treten im Allgemeinen innerhalb eines halben Jahres auf und können, ohne Hilfe, Jahre andauern.

Wie entsteht ein Trauma?

Um die Folgen von Traumata zu verstehen, muss man begreifen, wie der Mensch auf Gefahr reagiert. Diese Reaktionen sind tief im biologischen Erbe verankert und sind weder pathologisch noch unnormal. Sie sind Teil unserer Instinkte, die im Falle einer Gefahr das Steuer übernehmen und unser unbeschadetes Überleben sichern sollen.

Zu diesen Instinkten des Überlebens gehören die Begriffe: Flucht – Kampf – Erstarrung. In einer Gefahrensituation, in der es ums Überleben geht, schaltet der Mensch auf Angriff, um die Gefahr zu besiegen oder er geht in den Fluchtmodus, um sich der Gefahr zu entziehen. Erkennt er, das beides aussichtslos ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß,dass jetzt eine Erstarrungsreaktion eintritt. Der Mensch stellt sich tot. So ist es in der menschlichen Evolution angelegt. Die biologische Erstarrungsreaktion erhöht für das angegriffene Lebewesen potentiell die Wahrscheinlichkeit zu überleben. Es macht sich in gewisser Weise unsichtbar.
Für den heutigen Menschen hat diese Reaktion schwerwiegende Folgen. Meist ist sie gekoppelt mit einer sogenannten Dissoziation. In traumatischen Situationen beschreiben viele Betroffene, dass sich ihr Geist vom Körper abkoppelt, sie empfinden keinen Schmerz oder keine Angst und haben nicht das Gefühl, dass ihnen das gerade selbst widerfährt. Heute weiss man, dass diese Dissoziationserfahrung zu den stärksten Indikatoren für später einsetzende posttraumatische Symptome gilt.

Kampf-, Flucht- und Erstarrungsreaktionen gehören zu unserem evolutionären Erbe. Sie erscheinen in der heutigen hochtechnisierten Zeit wie befremdliche Relikte, und doch hat der Mensch bis heute keine anderen Reaktionen auf Stress und Gefahr entwickelt.

Bei einem Schocktrauma, also einem einmaligen Erlebnis, werden die Bewältigungsmechanismen überfordert. Es kommt zu einer Erstarrung. Man kann zwei Formen der Erstarrung unterscheiden. Zunächst eine angespannte Erstarrung, in der enorm viel Energie gehalten wird, sie ist immer noch hochgradig sympathikoton, d.h. vom sympathischen Zweig des Nervensystems gesteuert. Hält die Situation jedoch an, verlässt plötzlich jede Spannung den Körper, man kollabiert, dies wird vom parasympathischen Nervensystem gesteuert. Je jünger der Mensch zum Zeitpunkt des Ereignisses war und je hilfloser er sich dabei gefühlt hat, desto wahrscheinlicher wird diese zweite Reaktion in Kraft treten. Es ist wichtig, den Unterschied zu erkennen: Bei der ersten Form der Erstarrung ist noch Kraft, sich zu verteidigen, bei der zweiten Form verlässt den Menschen jede Spannung, er wird gewissermaßen betäubt.

Bei einem Entwicklungstrauma hat sich dieses „Toleranzfenster“ von Kampf – Flucht – Erstarrung erst garnicht ausreichend entwickelt und wird deshalb beinahe chronisch überschritten. Eine Traumatisierung tritt dann ein, wenn der Körper keine Meldung bekommt, dass das Ereignis vorüber ist und eine Normalisierung stattfinden kann. Dies ist meist dann der Fall, wenn Menschen so überwältigt waren, dass das parasympathische Notsystem zum Einsatz kam. Das Nervensystem hat dann keine Chance, sich wieder zu normaliseren und zu regulieren. Es schwankt von einem Zustand der Übererregung zu einem Zustand der Untererregung. Der zeitliche Abstand ist dabei unterschiedlich. Bei manchen Menschen normalisiert sich dieser Zustand nach spätestens sechs Monaten wieder, bei anderen bleibt dieser Zustand für den Rest ihres Lebens erhalten. Dies äußert sich in den oben erwähnten Symptomen und in den nachfolgenden Ausführungen.

Ein Mensch, der davon ausgeht, dass immerwährend Gefahr droht und die Welt ein gefährlicher Ort ist, wird sich anders durch sein Leben bewegen und auf Menschen zugehen als jemand, der davon ausgeht, dass Menschen erst einmal freundlich gesonnen sind und die Welt es gut mit ihm meint. Dies ist sicherlich eine der gravierendsten Veränderungen, die mit traumatischen Ereignissen in Zusammenhang stehen. Am stärksten ist dies bei Menschen mit sehr frühen Traumatisierungen der Fall, wo diese innere Wahrnehmung von Gefahr sozusagen in die „Persönlichkeits-DNA“ eingraviert ist. Eine weitere Auswirkung einer Traumatisierung ist der Verlust der Verbundenheit mit dem eigenen Körper. Die innere Wahrnehmung des Körpers ist ein wesentlicher Bestandteil dessen, was für ein zufriedenes und erfülltes Leben gebraucht wird.

Bei allzu großen Schmerzen wird der Körper gerne verlassen. Diese Abspaltung oder Dissoziation kann zu einem bleibenden Zustand werden, den die meisten Menschen in ihrem Alltag kaum wahrnehmen, da sie immer noch in der Lage sind, diesen zu meistern. Der Preis der Abspaltung des Körpers ist auch eine Verflachung aller Gefühle. Dies ist einerseits sinnvoll, da alte schmerzen auf diese Weise eingekapselt werden und nicht mehr wehtun. Andererseits werden positive Gefühle auch nicht mehr in ihrer Fülle erlebt.

Angstzustände und Panikattacken zählen viele Traumatherapeuten zu den Symptomen von von Traumata. Auch tiefe Sinnlosigkeit und ein Zustand des Abgeschnitten-Sein von anderen Menschen bis hin zu einem „ich bin nicht richtig, mit mir stimmt was nicht“ sind durchaus Hinweise auf ein frühes Trauma, dass sich der Erinnerung entzieht.

Psychotherapien zur Behandlung und Heilung

Um einem Trauma und seinen Folgen sich zu stellen bedarf es Mut. Es gibt jedoch Möglichkeiten, Symptome einer Traumatisierung zu lindern oder sogar zu heilen.

Die bekannteste Methode ist sicher EMDR, das bedeutet „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“. Hierbei wird das Gehirn bilateral stimuliert, das heißt abwechselnd rechts und links durch Klopfen auf den rechten und linken Oberschenkel, oder indem man mit den Augen dem Finger des Therapeuten oder der Therapeutin von rechts nach links folgt, während man im traumatischen Erleben sich befindet. Vorher klassifiziert man das traumatische Ereignis und seine Belastung auf einer Skala von 0 bis 10. Dies wiederholt man nach jedem Durchgang und macht es so lange, bis der traumatische Inhalt nicht mehr überwältigend ist. Man geht davon aus, dass durch bilaterale Stimulation dem Gehirn geholfen wird, ein Ereignis schneller zu verarbeiten. Eine weitere Möglichkeit ist die Verhaltenstherapie mit der Bildschirmmethode. Sie ist sehr verbreitet, da von den Krankenkassen anerkannt.

Sehr zu empfehlen sind die körperorientierten Traumatherapien. Hier ist die bekannteste die Somatic Experiencing (SE) von Peter Levine, die Ego-State-Therapy, eine ressourcenfokusierte und körperorientierte Therapiemethode oder auch die von der Psychotherapeutin Dami Charf entwickelte Methode Somatische Emotionale Integration (SEI). Bei diesen Methoden wird man dem traumatischen Ereignis emotional nicht mehr ausgesetzt. Bei den körperorientierten Methoden geht es darum, die im Körper und Nervensystem festgehaltene Energie und die erstarrten Reflexe zu lösen und sie wieder zur freien Verfügung zu haben. Die Voraussetzung dafür ist, mit dem Klienten, der Klientin zusammen wieder ein zugewandtes und wohlwollendes Gefühl für den eigenen Körper zu erarbeiten. Im Körper drücken sich auch Gefühle aus, die ungern gezeigt werden oder so alt sind, dass sie nicht mehr wahrgenommen werden. Das wichtigste aber in der Traumapsychotherapie bleibt der oder die Therapeut/in.

Hier bedarf es großer Sorgfalt beim Auswählen, denn die Psychotherapieforschung hat ergeben, dass nicht die Methode heilt, sondern die Beziehungsfähigkeit der Therapeuten. Es lohnt, sich auf den Weg zu machen, sich von Traumatisierungen zu befreien, so dass der Mensch wieder Wahlmöglichkeiten hat und sein Leben selbst gestalten kann, indem er die Fähigkeit zur Selbstregulation, zur Bindung und zur Körperwahrnehmung wieder erlernt. In sich selbst zu wohnen und mit sich (weitgehend) im Reinen zu sein mag sich als Ergebnis davon herausstellen.

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